Wort des Pfarrers zum Sonntag

Fürs Leben lernen

In der kommenden Woche beginnt das neue Schuljahr. Unsere Kinder und Jugendlichen drücken wieder die Schulbank und pauken, um Neues zu lernen. Bildung wird großgeschrieben, um seinen Weg in unserer Welt zu finden und gehen zu können. Bildung ist wichtig, damit ich die Welt um mich herum verstehe. Dabei ist Bildung mehr als das Fachwissen für meinen Beruf oder meine Allgemeinbildung. Es geht um weit mehr. Es geht um so viel mehr als um den Erwerb von Wissen. Es geht auch darum, seinen Platz im Leben zu finden, eine gefestigte Persönlichkeit zu werden und Antworten zu finden auf die großen Fragen, die mir das Leben stellt: Wer bin ich? Wofür will ich mich einsetzen? Was ist das, wofür es sich lohnt zu leben? Ich erinnere mich an meinen Lateinlehrer im Gymnasium, der uns Schülern immer wieder eingetrichtert hat: „Non scholae, sed vitae discimus.“ Nicht für die Schule lernen wir, sondern fürs Leben. Und damit ist Bildung nicht nur eine Sache des Kopfes, sondern auch eine Sache des Herzens. Herzensbildung.

Der Magdeburger Bischof Gerhard Feige sagte jüngst bei der Grundsteinlegung einer neuen kirchlichen Schule: „Welchen Stellenwert hat das viele Wissen, das man sich in der Schule aneignen soll? Einige Zeit nach meinem Abitur hat mich nachdenklich gemacht, dass vieles von dem, was ich gelernt hatte und abrufbar gewesen war, immer mehr in Vergessenheit geriet. Warum – so habe ich mich gefragt – hast du so viele Details in Mathematik, Physik oder Chemie gelernt, wenn du sie aktiv beim Studium der Philosophie und Theologie gar nicht mehr brauchst und auch gar nicht mehr weißt? Hättest du dir das nicht sparen können? Allmählich ist mir aber aufgegangen, dass meine Lernbemühungen und -erfolge mich, mein Denkvermögen sowie meine Vorstellungs- und Urteilskraft verändert haben. Es war also nicht umsonst gewesen. In diesem Sinn ist auch zu verstehen, was Albert Einstein, Werner Heisenberg, Mark Twain und Edward Wood in ähnlichen Worten so zum Ausdruck bringen: „Bildung ist das, was übrigbleibt, wenn man alles, was man gelernt hat, vergisst.“ Und so verstehen wir alle unsere verschiedenen Bildungsangebote vorrangig als Dienst am Menschen und an der Gesellschaft. Zu den Werten, die wir einbringen wollen, gehören unweigerlich die Prinzipien der katholischen Soziallehre: die Würde eines jeden einzelnen Menschen zu achten, Subsidiarität (d.h. Hilfe zur Selbsthilfe) und Solidarität zu üben und das Gemeinwohl zu fördern. Entscheidend scheint mir auch zu sein, für Umgangsformen wie Anstand, Respekt und Toleranz einzutreten. Solche Bildung weitet den eigenen Horizont und das Herz, lässt vieles besser verstehen, schärft das Urteilsvermögen, auch den eigenen Standpunkt kritisch zu hinterfragen, trägt zur Differenzierung, Empfindsamkeit und Kompromissbereitschaft bei – und kann sogar Spaß machen. Damit ist Bildung auch eine wesentliche Grundlage dafür, dass Demokratie gelingt und Menschen friedlich miteinander leben können.“

In diesem Sinn wünsche ich allen Schülerinnen und Schülern sowie den Lehrkräften eine erfolgreiche Entwicklung im neuen Schuljahr, viel Fantasie und Elan, Ausdauer und Zuversicht, vor allem und in allem aber Gottes reichen Segen.

Heribert Kaufmann